Systemwechsel mit Folgen: Gewinner und Verlierer auf dem Spielbrett der Elektromobilität
Dass der Elektroantrieb ein Game Changer für die Automobilindustrie ist, steht mittlerweile wohl außer Frage. Die neuartige Anatomie des Elektroautos, anspruchsvollere Produktionsbedingungen und eine ganze Reihe weiterer Herausforderungen haben die Welt der Fahrzeughersteller ordentlich auf den Kopf gestellt – aber nicht nur ihre. Das gesamte Netzwerk der Automobilindustrie sieht sich vor einem erheblichen technologischen und wirtschaftsstrukturellen Wandel, der sich mehr und mehr den Bereichen Elektrik/Elektronik zu-, von anderen Branchen hingegen deutlich abwendet. Eine grundlegenden Umstrukturierung, von der längst nicht nur milliardenschwere Konzerne, sondern auch kleinere Hersteller- und Zuliefererfirmen betroffen sind, die den Veränderungen nicht grundlos mit ein wenig Besorgnis entgegenblicken.
Mehr als eine Motorisierungsvariante: Das ändert sich für die Automobilindustrie
Abgastechnik aus dem Hause Eberspächer, Zylinderkopfdichtungen von Elring Klinger, Kolben von Mahle: Das alles sind Erzeugnisse, deren Prognose man mit Blick auf ihren zukünftigen Bedarf durchaus als ungünstig bezeichnen darf. Mit dem kontinuierlichen Wachstum der Elektromobilität verlieren sie ihre Bedeutung am Markt – und die für ihre Herstellung benötigten Präzisionsmaschinen gleich mit. Als Folge werden z. B. Gießereien zu einer Überarbeitung ihres Produktportfolios gezwungen sein, wenn sie innerhalb der Automobilindustrie auch zukünftig als Zulieferer präsent sein wollen.
Aber nicht nur der grundlegende Aufbau des Elektroantriebs, sondern auch sein deutlich reduzierter Fertigungsaufwand hat weitreichende Konsequenzen: Während formgebende Fertigungsverfahren wie Fräsen, Drehen und Schleifen als Schwerpunkt der Automobilindustrie in den Hintergrund rücken, nehmen andere Bereiche die Protagonistenrolle ein: Insbesondere die Batterieherstellung und -verarbeitung stellt hohe Anforderungen an die Sauberkeit und Qualitätssicherung der Produktionsumgebung – der Montageprozess wird so zum erfolgskritischen Faktor.
Darüber hinaus nehmen auch Themenwelten wie z. B. Werkstoffkunde in der Elektromobilität einen deutlich höheren Stellenwert ein, denn um das hohe Gewicht des Elektroantriebs möglichst bald zu kompensieren, muss intensiv am Einsatz neuer Materialien und Bauweisen geforscht werden.
Auch aus personeller Sicht kommen die Automobilhersteller um eine Umstrukturierung nicht herum. Als Folge der situativen Veränderungen werden traditionelle Berufe der Branche an vielen Stellen durch anspruchsvollere Arbeitsplätze ersetzt. Die Branche geht davon aus, dass der Anteil der innerhalb der klassischen mechanischen Technologien beschäftigten Personen bis 2030 von 80 % auf 60 % zurückgehen wird. Die übrigen 40 % sind Elektroniker:innen und Chemiker:innen. Experten sprechen hier von einem Fokuswechsel, der von der klassischen Mechanik Abstand nimmt und sich einer komplexeren „Me-chem-tronik“ zuwendet.
Ein weiterer Gewinner des E-Mobility-Trends ist die IT-Branche – nicht zuletzt auch aufgrund der parallel wachsenden Bedeutung des autonomen Fahrens. Die Elektrifizierung von Fahrzeugen verlangt nach umfassenderen und deutlich aufwendigeren Softwarelösungen. Damit die Elektromobilität trotz all dieser Herausforderungen am Ende noch wirtschaftlich bleibt, muss bei der Umstrukturierung einiges bedacht werden – eine produktive Automatisierung der Fertigungsschritte ist dafür unverzichtbar.
Batteriefertigung in Asien: Wer zuerst kommt, dominiert den Markt
Hersteller in Japan, China und Korea haben sich frühzeitig auf die bevorstehenden Veränderungen eingestellt – und investieren seit Jahren in die Entwicklung und Massenproduktion von Lithium-Ionen-Batteriezellen. Als Folge dominieren sie den aktuellen Markt mit unglaublichen 90 %. Zum Vergleich: Der Anteil von Herstellern aus den USA liegt bei knapp 10 %, alle anderen (inklusive der Hersteller innerhalb der EU) machen gerade mal 1 % aus.
Sollte sich daran nichts ändern, entsteht mit den rapide steigenden Verkaufszahlen eine gefährliche Abhängigkeit vom asiatischen Markt. Selbst große Konzerne wie BOSCH haben haben angesichts des immensen Vorsprungs der Konkurrenz aus Fernost bereits kapituliert und sind aus der Zelltechnologie ausgestiegen. Mehrere Versuche der Etablierung eigener Standorte, wie sie zum Beispiel Daimler 2013 mit der Batteriefertigung für den Elektro-Smart durch einen deutschen Hersteller unternommen hat, sind nach wenigen Jahren gescheitert.
Zeit zum Aufholen: Fördermaßnahmen als Stärkungsmittel für die europäische Batteriefertigung
Um eigene Standorte für eine integrierte Zell- und Batteriesystemproduktion konkurrenzfähig (und Investitionen auf diesem Gebiet schmackhaft) zu machen, will die EU-Kommission die Forschung und Entwicklung europäischer Batteriezellen im Rahmen ihres IPEC-Programms (Important Project of Common European Interest) mit insgesamt 3,2 Milliarden Euro vorantreiben. Für Projekte mit deutscher Beteiligung sind Förderungen von ca. 1,7 Milliarden Euro vorgesehen. Zusätzlich ergänzt werden diese durch einen Betrag in etwa derselben Höhe aus dem nationalen Konjunkturprogramm zur Bewältigung der Corona-Krise.
Attraktive Aussichten, die ihren Zweck zu erfüllen scheinen: Der Automobilriese Opel baut derzeit in Kooperation mit der Muttergesellschaft PSA und der französischen Total-Tochter Saft das Gemeinschaftsunternehmen Automotive Cell Company (ACC) auf. Der Startschuss für die Akkufertigung durch die ACC soll im Jahr 2023 fallen, geplant ist vorerst eine Kapazität von 48 Millionen kWh bis 2030 an zwei Standorten – einer davon in Frankreich, der andere in Kaiserslautern.
Auch VW arbeitet mittlerweile aktiv daran, durch ein eigenes Werk für Zellproduktion unabhängiger von Herstellern aus Fernost zu werden. In Zusammenarbeit mit dem schwedischen Batteriehersteller Northvolt entsteht aktuell ein Werk in Salzgitter, dessen Produktion Anfang 2024 anlaufen soll. Komplett autark wird VW dadurch aber natürlich nicht, denn die Kapazitäten (vorerst 16 GWh) werden nur für ca. 32.000 E-Autos und damit längst nicht für die Gesamtzahl der zu fertigenden Fahrzeuge mit Elektroantrieb ausreichen.
Neue Umstände erfordern neue Expertise
Es liegt auf der Hand: Wer von der veränderten Wertschöpfungskette nicht überrollt werden will, braucht einen durchdachten, zukunftsorientierten Plan. Auch Unternehmen, die die Hersteller und Zulieferer der Automobilbranche mit Anlagentechnik versorgen, müssen umdenken – und so fühlen auch wir uns nicht erst seit gestern von den Perspektiven des Systemwechsels angesprochen. In den vergangenen Jahren haben wir deshalb unsere Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit der E-Automobilindustrie massiv gestärkt und neue Technologien nach vorn gebracht. Entsprechend zuversichtlich stehen wir den noch bevorstehenden Veränderungen der Branche gegenüber – und sind bestens vorbereitet für einen weiteren Bedeutungszuwachs der Elektromobilität.